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                                  START         Jo Specht                                                                             

Schubarts Forelle

Die »Deutsche Chronik« und ihre Leser

   Am 31. März 1774 erschien in Augsburg die erste Ausgabe der »Deutsche Chronik« – Umfang acht Seiten, Erscheinungsweise zwei Mal pro Woche –, eine volksnahe Zeitschrift, die »um einen billigen Preis, auf jedem Postamte in Deutschland gekauft werden konnte«, so der Christian Friedrich Daniel Schubart, der Herausgeber und alleiniger Redakteur, 35 Jahre alt. Das Organ befasste sich mit politischen, religiösen, literarischen, poetischen und pädagogischen Themen. Besonders mit den politischen und religiösen Veröffentlichungen erregte Schubart viel Aufsehen und schuf sich damit gleichzeitig viele mächtige Feinde.

   Schon nach kurzer Zeit galt die »Deutsche Chronik«, später »Teutsche Chronik, Schubarts Vaterländische Chronik« oder »Vaterlandschronik« oder einfach nur »Chronik«, als eine wichtige Stimme der mit den bestehenden Verhältnissen Unzufriedenen. Als eine Stimme gegen willkürliche Fürsten, gegen pharisäerhafte Kirchenvertreter, gegen den religiösen Wahn sowie für Freiheit und Unabhängigkeit. In seinen Texten sparte Schubart nicht mit kritischen Kommentierungen, deftigem Spott und beißender Ironie.

   Den Fürsten warf er vor allem Verschwendungssucht und Unterdrückung vor. Bei den Katholiken prangerte er besonders die Jesuiten an. Ihnen unterstellte er eine eigennützige, unheilvolle Glaubensauslegung. Nicht ohne Grund sei der Orden vom Papst im Jahr 1773 aufgelöst worden. Doch auch nach dem Verbot verfügten die einstigen Ordensmitglieder in etlichen Städten, so auch in Augsburg, noch über einen großen Einfluss. Laut dem engagierten Gegner Schubart war der Geist der Jesuiten für einen Staat und dessen Bevölkerung »verderbend«.

   Die Jesuiten sahen in dem Chronisten nicht nur einen ungläubigen Ketzer, sondern einen Feind, den es zu vernichten galt.

   Seine Informationen für die Chronik erhielt Schubart vornehmlich in Kneipen, da sprach das Volk – Handwerker, Bürger, Bauern – offen und unmissverständlich, da konnte er »dem Volk aufs Maul schauen«. Das Gehörte schrieb der kantige Aufklärer gleich vor Ort nieder. Als ergänzende Informationsquellen dienten ihm andere Periodika und Bücher. Das Vertrauen der Leute gewann er vor allem mit seinem Klavierspiel. Oftmals spielte er zur allgemeinen Unterhaltung auf, manchmal sogar mit dem Rücken zu den Tasten. Dazu kamen volksnahe Gedichte und Lieder, die er nicht selten sich spontan ausgedacht hatte.

   In Augsburg versuchten Schubarts Gegner ihn und damit das Blatt durch gerichtliche Anklagen, Verleumdungen, eingeworfene Fensterscheiben und Verhaftungen zum Schweigen zu bringen. Doch Freunde schützten ihn. Dann allerdings verbot der Augsburger Magistrat die Zeitschrift und wies den Journalisten aus der Stadt. Für den kritischen Schreiber war das die Folge eines Ränkespiels der Jesuiten.

   Im Januar 1775, nach nicht einmal einem Jahr in Augsburg, erfolgte notgedrungen der Umzug in die freie Reichstadt Ulm. Die »Deutsche Chronik« war schon vor Ort, aufgrund der Augsburger Querelen war ihr Druck zuvor dorthin verlegt worden. In der Donaustadt schaute Schubart wiederum in Kneipen dem Volk aufs Maul - er behielt seine volksnahe Arbeitsweise bei. Die Zeitschrift entwickelte sich weiterhin gut. Schon in Augsburg war die Auflage auf 1600 Exemplaren gestiegen. Inzwischen fand sie Leser nicht nur in ganz Deutschland, sondern ebenso in Paris, Amsterdam, London und St. Petersburg.

   In Ulm hatten die Jesuiten keinen Einfluss. Doch immer wieder hatte Schubart Ärger mit dem vom Ulmer Magistrat bestellten Zensor. Dieser ließ nicht alle Texte und Formulieren durchgehen, verlangte Änderungen, die dem Autor nicht gefielen. Doch im Vergleich zu Augsburg war das Arbeiten und Leben für den Vielschreiber in Ulm akzeptabel. Zumal das Magazin, mittlerweile zum wichtigsten, deutschen Oppositionsblatt avisiert, ihm ein gutes, regelmäßiges Einkommen sicherte.

   Außerhalb der Donaustadt wuchs nicht nur die Zahl der Interessierten, sondern auch die der Feinde. Darunter viele Fürsten. Es gab seinerzeit über 300 deutsche Länder oder Fürstentümer mit eigenen Grenzen und Zöllen, die ein vereintes, deutsches Vaterland behinderten. Den größten Teil der Einnahmen durch Zölle und Steuern verprassten viele Herrscher für eine teure Hofhaltung, für ein luxuriöses Leben. Sie blockierten die Entwicklung der unteren Stände, einschließlich Bürgerturm, alles sollte so bleiben wie es war. Einige der Fürsten, darunter Karl Eugen, Herzog von Württemberg, sahen ihre Rolle und ihr Handeln sogar als gottbefohlen an. Offen sprach sich Schubart für die freiheitlich orientierte Schweiz und für den Freiheitskampf der amerikanischen Kolonien aus, später ebenso für die Beweggründe der Französischen Revolution.

   Unter den Fürsten kritisierte der Chronist hauptsächlich den Herzog von Württemberg. Ihn, seine Verschwendungssucht, Selbstherrlichkeit, Unterdrückung, Mätressenwirtschaft und Günstlingswirtschaft hatte er in Ludwigsburg als Organist und Musikdirektor, von 1769 bis 1773, unmittelbar kennengelernt. Bis er aufgrund einer Intrige und fadenscheinigen Gründen des Landes verwiesen wurde.

   In seinen Chronik-Artikeln griff er Karl Eugen offen an. Kritisierte beispielsweise die brutale Zwangsverpflichtung von männlichen Untertanen als Soldaten, die dann an Kriegsführer im Ausland verkauft wurden. Das Geld floss in den aufwendigen Lebensstil der Herzoges Karl Eugen. Die Mätresse und spätere Ehefrau des Herzogs, Franziska von Leutrum, danach Franziska von Hohenheim, nannte er »Donna Schmergalina«, ein schmählicher Hinweis auf eine hässliche, ehrgeizige Frau. Drüber hinaus verglich er sie mit dem „Glimmen einer Lichtputze - es glimmt und stinkt.“

   Am 18. Januar 1777 wendete sich das Schicksal. Karl Eugen erließ gegen den Chronisten einen heimlichen Haftbefehl, indem er anordnete, Schubart »habhaft zu werden, um durch sichere Verwahrung seiner Person die menschliche Gesellschaft von diesem unwürdigen und ansteckenden Gliede zu reinigen«. Verbunden war der Befehl mit einem Komplott, den Querkopf auf württembergisches Gebiet zu locken, um ihn dann gefangen nehmen zu können, denn in der eigenständigen Reichstadt Ulm war eine Gefangennahme nicht möglich. Sehr wahrscheinlich waren an dem Komplott die Jesuiten mit beteiligt.

   Der Plan gelang. Der kritische Journalist wurde im württembergischen Blaubeuren gefasst, auf die Festung Hohenasperg bei Ludwigsburg gebracht und für zehn Jahre und vier Monate ohne offizielle Anschuldigung und Verurteilung eingekerkert. In der Festung sollte Schubarts Wille und Freigeisterei gebrochen, aus ihm ein besserer und kirchengetreuer Mensch gemacht werden. Gleichzeitig wollte der Herzog ein Exempel statuieren, seinem Volk und allen aufbegehrenden Geistern zeigen, was der Widerstand gegen die Obrigkeit bringt.

   Begonnen hat die Haft mit 377 Tagen Totalisolation. Danach wurden die Haftbedingungen etwas gelockert. Dennoch, wahrscheinlich hätte der mutige Autor in der Folgezeit sein Leben in den Festungsmauern beendet, wenn nicht bekannte Persönlichkeiten wie Schiller und Goethe und besonders der preußische Hof sich für seine Freilassung eingesetzt hätten.

   Als Schubart am 11. Mai 1787, inzwischen 48 Jahre alt, frei kam, nahm er in Stuttgart innerhalb von sechs Wochen die Herausgabe der Chronik wieder auf. Dazu verhalf ihm eine »gnädige Großzügigkeit« des Herzogs von Württemberg. Diese beinhaltete nicht nur die Fortführung der Zeitschrift, sondern auch die Anstellung als Musikdirektor und Theaterdirektor am Stuttgarter Hof. Der Grund für diese Großzügigkeit war die Zuschaustellung eines vergebenden, nachsichtigen Landesvaters und die Annahme, den einstigen Widersacher gebrochen zu haben, gleichzeitig so unter Kontrolle halten zu können.

   Einige von Schubarts Freunde meinten nach dessen Haftentlassung, dass die sogenannte Umerziehung auf dem Hohenasperg aus Sicht des Herzogs und der Kirche, die sich durch den Ludwigsburger Dekan Zilling für das herzogliche Interesse einspannen ließ, erfolgreich war. Der Freigeist gebrochen wurde. Der Chronist als ein gebrochener Mann wieder in Freiheit kam. Andere meinten, die Haft habe dem kritischen Geist nichts anhaben können. Er habe seine Peiniger getäuscht. Der Schubart war nach wie vor der kritische Schubart.

   Tatsächlich sorgten schon die ersten Chronik-Ausgaben für Proteste. Unter anderem protestierten die Regierungen von Dänemark, Österreich und Sachsen gegen unliebsame Veröffentlichungen. 1788 wurde die Zeitschrift in Pfalzbayern verboten, wahrscheinlich von Jesuiten und katholischen Fanatikern erwirkt.

   Einiges spricht dafür, dass der Autor und Freidenker seine Gesinnung auf dem Hohenasperg, trotz brutaler Schikanen, bewahren konnte. Doch eine Gewissheit gibt es nicht. Gesichert ist, dass die Haftzeit seiner Gesundheit sehr schadete. Am 10. Oktober 1791 verstarb Christian Daniel Friedrich Schubart in Stuttgart im Alter von 52 Jahren.