Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.
                                  START         Jo Specht                                                                             

Im Kerker auf dem Hohenasperg

   In einer armseligen Gefängniszelle auf dem Hohenasperg sind anwesend: Der Kerkermeister Rieger, der Vorleser und Schubart. Später kommt der Dekan Zilling dazu. Ab und zu betritt ein Wärter die Zelle.

   Kerkermeister Rieger

   War selbst einmal aufgrund einer Intrige eingekerkert und von Karl Eugen, Herzog von Württemberg, begnadigt und zum Kerkermeister der Festung Hohenasperg ernannt worden. Seinen Frust hierüber sowie keine Chance auf eine glänzende Karriere bei Hofe mehr zu haben, ließ er an den Gefangenen aus. Er trat ihnen gegenüber mit einer besonderen Härte auf.

   Vorleser

   Unterstützt Rieger bei der Aufzählung der Anschuldigungen, die Schubart zur Last gelegt werden.

   Dekan Zilling

   Ein Widersacher und Feind von Schubart, als dieser in Ludwigsburg weilte. Er sorgt wesentlich dafür, dass Schubart Ludwigsburg verlassen musste.

   Gefängniszelle

   Die Zelle, nur für einen Gefangenen vorgesehen, ist karg und kalt, kein Fenster. Zwei Öllampen auf dem einfachen Holztisch mitten im Raum sorgen für ausreichende Helligkeit. In der Ecke steht ein alter, gusseiserner Ofen, der nur mäßig heizt. Mangels Brennmaterial geht das Feuer in ihm allmählich aus. Unmittelbar neben dem Ofen ist ein Strohlager. In einer Wand ist ein Ring eingelassen, für die Ankettung des Gefangenen. Die mächtige Zellentür ist aus dunklem, massivem Holz mit dicken Eisenbeschlägen.

  Szene:

Schubart sitzt am Tisch, Stirnseite, aufrecht, noch glaubt er, dass er bald wieder frei kommt. Ihm gegenüber sitzt der Kerkermeister Oberst Philipp Friedrich Rieger, neben diesem der Vorleser. Vor dem Vorleser liegt ein Protokoll, in diesem sind die einzelnen Lebensstationen sowie die angeblichen Schandtaten Schubarts festgehalten.

 

Ein Patriot muss sich verteidigen

   Rieger überheblich, von oben herab zu Schubart:

   »Er will ein Patriot sein?«

   Schubart bemüht, selbstsicher zu wirken, antwortet:

   »In der Chronik vertret ich ein Patriotismus, der gegen die über 300 deutschen Länder mit Landesgrenzen und Zöllen und gegen die Selbstherrlichkeit der Landesherren gerichtet ist.«

   Rieger ironisch:

   »Was versteht er unter Selbstherrlichkeit der Landesherren?«

   Schubart vorsichtig, aber doch sicher und mutig: 

   »Es geht mir um die Emanzipation der unteren Stände, welche die Fürsten verhindern, um sich weiter ihr luxuriöses Leben erhalten zu können.«

   Rieger barsch:

   »Das ist eine Auffassung gegen die Obrigkeit, die auch nicht wahr ist.«

   Schubart förmlich und bestimmt:

   »Mein Patriotismus richtet sich gegen die über 300 deutschen Länder mit Landesgrenzen und Zöllen und gegen die Selbstherrlichkeit der Landesherren. Gegen die teuren Hofhaltungen der Kleinfürsten. Ich bin für ein einheitlich großes, starkes Reich mit guten Fürsten. Angestoßen von der politischen und moralischen Kraft Preußens. Von Preußen ausgehen die Impulse für eine Einigung des Vaterlandes.«

   Rieger geringschätzig:

   »So, so!«

   Schubart selbstsicher:

   »Ich hoff auf aufgeklärte und milde Fürsten.«

   Rieger wieder im barschen Ton:

   »Nur solche sind überall anzutreffen!«

   Schubart ausweichend:

   »Ich bin für mehr Christentum bei den Fürsten und in deren Ländern.«

   Der Vorleser lacht und deutet höhnisch auf Schubart.

   »Er ist für mehr Christentum, ach herrje.«

   Der Kerkermeister schaut den Vorleser strafend an. Dann sarkastisch lächelnd zu Schubart gewandt, erklärt er:

   »Ich seh bei uns überall nur Christen, die auch christlich sind.«

   Schubart antwortet taktisch:

   »Ich mein zum Beispiel die Juden und wie ungerecht man gegen dies arme Volk verfährt. Juden werden von Christen unchristlich behandelt. Dadurch werden sie gezwungen, entweder Müßiggänger oder Betrüger zu werden. Ich mein auch als Beispiel die Sklaven. Auch bei ihnen ist viel Herzhaftigkeit, Größe der Seele und Heldenmut anzutreffen. Kurz, man bemerkt bei den Negern, dass sie alle menschliche Anlagen haben, und dass sie nur der Sklavenstand, den sie so schrecklich dulden müssen, unter uns herabsetzt.«

   Dann etwas mutiger:

   »Ein gutes Beispiel ist England mit seinem parlamentarischen Freiheitsgeist.«

   Rieger gespielt erstaunt:

   »Die Engländer? In der Chronik ist aber etwas anderes zu lesen.«

   Rieger gibt dem Vorleser ein Zeichen. Dieser beginnt sofort in seinem Protokoll zu blättern.

   Der Vorleser in Gedanken laut:

   »Engländer? Engländer? Was hat er über die Engländer in seiner Zeitung geschrieben? Hier hab ich’s.«

   Er deutet auf das aufgeschlagene Protokoll und zitiert daraus:

   »In der Chronik hat er über die Engländer geschrieben - Dass deren so hoch ausposaunter Großmut und Menschenliebe meistens ein Hirngespinst ist. Welche scheußliche Rolle haben sie nicht schon in den fernsten Weltteilen gespielt, wo ihre Schandsäulen stehen. Gott lob, dass kein solcher Fluch auf uns Deutschen ruht.«

   Schubart schüttelt den Kopf.

   »Ich red nur vom parlamentarischen Freiheitsgeist in England.«

   Dann wechselt er schnell das Thema:

   »In der Chronik hab ich immer nur die schlechten Fürsten und Pfaf ..., ich meine Priester angesprochen.«

   Rieger lauernd:

   »Wer ist nach seiner Meinung ein schlechter Fürst?«

   Schubart antwortet wieder taktisch:

   »In der Chronik hab ich immer die würdigen Fürsten und Priester als gute Beispiele dargestellt. Keine Staatsverfassung ist natürlich dauernder, als die Monarchische. Werden ja doch Himmel und Erde monarchisch reagiert.«

   Rieger nickt beifällig.

   »Das ist richtig. Was hält er von dem allseits verdienten Kaiser Josef dem Ersten?«

   Schubart eilfertig:

   »Er war ein verdienter Kaiser. Auf seinen Tod habe ich eine Ode geschrieben - recht erfolgreich.«

   Der Vorleser lacht und will etwas sagen. Doch Rieger hebt den Arm und zeigt ihm an, dass er ruhig sein soll.

   Rieger wieder lauernd zu Schubart:

   »Und dafür hat er einen kaiserlichen Poetentitel erhalten. Den er als eine Ehre bezeichnete, derer schon manches Rindvieh gewürdigt worden war.«

   Schubart erschrickt. Er erkennt, dass sein Gegenüber wirklich gut informiert ist. Angst steigt in ihm hoch, die er aber niederdrückt. Mit fester Stimme fragt er Rieger:

   »Sagt mir, warum bin ich hier? Sagt mir, was wird mir vorgeworfen? Nicht einmal eine Anklageschrift, geschweige denn ein rechtmäßiges Gerichtsurteil, was meine Verhaftung mindestens einen rechtmäßigen Anschein geben würde, habe ich vernommen.«

   Rieger mit lauter, scharfer Stimme:

   »Ihr fragt, warum ihr hier auf dem Asperg seid? Ihr, der in eurer Zeitung soviel Schmutz und Unrat über unseren Herzog Karl Eugen von Württemberg ausgeschüttet habt? Ich bin hier, um es euch zu erklären. Und wenn ich es euch erklärt hab und ihr es verstanden habt, werdet ihr ein besserer Mensch sein.«

   Schubart betroffen und unsicher:

   »Ihr spricht in Rätseln. Was meint ihr?«

   Rieger geheimnisvoll:

   »Bevor ich euch hierauf eine Antwort geb, will ich erst wissen, was für ein schlechter Mensch, was für menschlicher Unrat, ihr wirklich seid.«

   Schubart erschrickt wieder und stammelt:

   »Ich, ich ...«

   Wieder lacht der Vorleser. Sein Lachen ähnelt dem Meckern einer Ziege.

   Rieger beugt sich über den Tisch zu Schubart hin.

   »Ich habe viel über euer schlechtes, unbotmäßiges Leben erfahren. Schon als 14jähriger, in Nördlingen wo ihr auf dem Lucium ward, habt ihr euch häufig in Wirtshäusern herumgetrieben. Dort unzüchtige Texte vorgetragen. Man berichtet, er habe bereits in diesem jungen Alter unzüchtige Billets geschrieben, allzu freien Umgang mit Handwerksburschen gepflegt und seine musikalischen Fähigkeiten zur geselligen Unterhaltung missbraucht.«

   Schubart zurückhaltend empört:

   »Wer berichtet so etwas?«

   Der Vorleser pocht mit einem Finger triumphierend auf das vor ihm liegende Protokoll. Grinsend sagt er zu Schubart:

   »Viele Leut! Steht alles hier drin!«

   Rieger, immer noch über den Tisch gebeugt und Schubart eindringlich fixierend:

   »Danach wurd es noch schlimmer. Fast sein ganzes Leben hat er in Wirtshäusern verbracht. Aus Aalen berichtet man zudem, dass es ihm an Fleiß, Salbung und ernstem Bibelstudium mangle.«

   Schubart lässt die Schulter hängen, doch dann richtet er sich wieder auf.

   »In Wirtshäusern in Augsburg und Ulm, mit den Leuten dort, hab ich die Chronik gemacht.«

   Rieger lacht gehässig.

   »Im Wirtshaus, am Biertisch, im betrunkenen Zustand des Autors, unter den kreischenden Zurufen der anderen Saufbolde und Möchtegerns, entstand die Zeitung. So hab ich’s gehört. Schwerlich ein ernstzunehmendes Blatt.«

   Schubart sicherer und langsam sprechend:

   »In ihrer Gesellschaft, in ihrem Dunstkreis wird die Chronik, zwei Mal die Woche, geboren. Am Biertisch entsteht sie, in ständigem Gespräch mit Kumpanen, in Rede und unmittelbarer Widerrede. Und das ist gut so! Ich hab unter den niedrigen Ständen weit mehr gelernt, als unter den höheren, denn jene stehen näher am Quell der Natur.«

   Rieger höhnisch:

   »Gelernt? Was gelernt?«

   Der Vorleser ruft dazwischen:

   »Das Saufen und Huren!«

   Schubart zuckt kurz zusammen, sagt dann aber mit ruhiger Stimme:

   »Ich such die Geselligkeit der kleinen Leute, der Bauern, Handwerker und Soldaten, denen ich aufs Maul schauen kann. In den Wirtshäusern ist das Volk. Dort kann ich lernen und feststellen, was es denkt und fühlt. In den Schenken hab ich mehr gelernt, als von den gepuderten Lackaffen auf dem Parkett der Salone.«

   Rieger lacht gehässig.

   »Und weil er sich mit den Wirtshausleuten so verbunden fühlt, deshalb hat er immer Schwierigkeiten mit der Obrigkeit. Das ist Aufruhr und Zersetzung des zum Wohle des Volke dienenden Gemeinwesens.«

   Schubart schüttelt den Kopf. Wieder fragt er mit fester Stimme:

   »Sagt mir, warum ich hier bin? Was wird mir vorgeworfen?«

   Der Vorleser lacht meckernd:

   »Sieh an, ein Unschuldslamm!«

   Die schwere Zellentür geht auf, der Wärter kommt herein. Er nimmt vor Rieger eine militärische Haltung ein und sagt:

   »Es ist Essenszeit. Soll der Gefangene sein Essen jetzt oder später erhalten?«

   Rieger deutet auf Schubart und fragt den Wärter höhnisch grinsend:

   »Was steht denn auf seinem Speiseplan?«

   Der Wärter antwortet wie aus der Pistole geschossen:

   »Brotsuppe, Herr Oberst!«

   Rieger süffisant zum Wärter:

   »Solch ein köstliches Mahl wollen wir ihm nicht vorenthalten. Er möge es ihm bringen.«

   Bevor der Wärter salutieren kann, fragt Rieger ihn, indem er auf sich und danach auf den Vorleser deutet:

   »Und was hat die Küche für mich und ihn?«

   Der Wärter eilfertig:

   »Wir können ein Rebhuhn servieren.«

   Rieger nickt zufrieden.

   »Ohne Knochen. Wir wollen nur das Fleisch haben. Und dazu Brot und etwas Wein.«

   Der Wärter salutiert und sagt laut:

   »Jawohl, Herr Oberst!«

   Der Wärter verlässt im schneidigen Militärschritt die Zelle. Krachend fällt die schwere Tür ins Schloss.

 

Der Dorfschulmeister in Geislingen

   Rieger zu Schubart süffisant:

   »Bis unsere Speisen kommen, können wir noch über seine Zeit als Schulmeister in Geislingen reden. Wo er sich auch mit Vorgesetzten angelegt hat. Will er uns etwas über diese Zeit erzählen oder sollen wir ihm sein schändliches Verhalten aus dem Gutachten vorlesen?«

   Schubart, der sich innerlich aufgebaut hat, indem er zu sich selbst sagte, dass er bald wieder in Freiheit ist, dieser Kerkermeister ihm nur ein Schrecken einjagen will, antwortet mit klarer, fester Stimme:

   »Ab Oktober 1763 war ich Dorfschulmeister in Geislingen. Meine Schule sah einem Stalle ähnlicher, als einem Erziehungshaus für Christenkinder. Über hundert Schüler, roh und wild wie unbändige Stiere, wurden mir an die Seele gebunden. Täglich neuen Stunden Unterricht. Zusätzlich musste ich in der Stadtkirche Orgel spielen und predigen. Weiter musste ich Totenlieder schreien.«

   Rieger amüsiert:

   »Totenlieder schreien?«

   Schubart angewidert:

   »Ich meine das Leichenaussingen. Ich musste bei Beerdigungen Totenlieder singen, nein schreien. Sechs lange Jahre war ich in dieser Einöd.«

   Der Vorleser zu Rieger anklagend:

   »Im Protokoll steht, dass er einmal gesagt hat, dass er nur deshalb die Zeit in Geislingen überstanden habe, weil es dort und in der näheren Umgebung 17 Wirtshäuser gab.«

   Rieger schaut Schubart ungläubig an, schüttelt dann höhnisch tadelnd den Kopf und stellt fest:

   »In Geislingen habt ihr doch auch geheiratet.«

   Schubart vorsichtig:

   »Es war die Verbindung des Sturms mit der Stille. Das Ergebnis war viel Streit und Unverständnis.«

   Rieger in lässigem Ton:

   »Mehr gibt es nicht zu berichten?«

   Schubart vorsichtig:

   »In der Enge Geislingens entstand der Gedanke, etwas zu schreiben und herauszugeben. Christoph Martin Wieland, noch Stadtschreiber in Biberach, Gründer der Wochenzeitung Der Rechtschaffene war mein Befürworter. Bestärkte mich mit diesem Gedanken.«

   Rieger macht eine abwertende Handbewegung.

   »Später hat er ja dann auch etwas herausgegeben - die Chronik, wegen der er jetzt hier auf dem Asperg im Kerker einsitzt.«

   Schubart sagt nichts. Blickt nur starr vor sich hin. Innerlich macht er sich Mut:

   »Bald bist du wieder frei, dann hast du das alles hinter dir.«

   Rieger laut und scharf zu Schubart:

   »Nicht nur, dass er in Geislingen seine Vorgesetzten ständig geärgert und beleidigt hat, auch später hat er davon nicht abgelassen. Wir haben eine beleidigende Anzeige, in der Chronik veröffentlicht, die das beweist.«

   Rieger nickt dem Vorleser zu. Dieser hebt das Protokoll etwas höher, näher zur Öllampe hin, und beginnt vorzulesen:

   »In der Chronik stand geschrieben - Nachricht. Welcher Magister hat Lust, Schulmann in Geislingen zu werden? Er muss gut Latein, Griechisch und Hebräisch verstehen, auch etwas Französisch und Italienisch. Im Christentum, Rechnen, Schreiben, Zeichnen, Historie, Geographie, Feldmessen muss er ein Meister sein. Informieren die Schüler darf er nicht mehr als zwölf Stunden am Tag, daneben kann er sich noch mit Privatstunden was verdienen. Da man den Organisten mit ihm ersparen möchte, so wär`s gut, wenn er die Orgel spielen, gut geigen und die Posaune auf dem Turm blasen könnt. Den Geistlichen assistiert er zuweilen im Predigen und Catechisieren. Weil er die Leichen hinausbegleiten muss, so muss er eine sehr gute Stimme haben. Zur Weihnachtszeit muss er mit seinen Schülern eine Woche von Haus zu Haus herumziehen und betteln, was man Currendsingen nennt. Seine Besoldung besteht aus 100 Gulden an Geld, etwas Naturalien, freie Wohnung, sechs Ellen Krautland, freie Eichelmast und eine Miststätte vor seinem Haus. Den Rang hat er gleich nach dem Bürgerortsmeister, der gegenwärtig ein Gerber ist. Außerdem soll`s den Buben nicht erlaubt sein, ihn mit Erbsen zu beschießen. Es wär dem Magistrat sehr lieb, wenn der Kandidat ledig wär. Der Vorfahr im Amt hat eine sehr häusliche und gottesfürchtige Witwe hinterlassen. Sie ist zwar schon eine Fünfzigerin; kann aber doch noch lange leben.«

   Rieger fährt Schubart herrisch an:

   »Schändlich, beleidigend und verlogen! Die ehrbaren Geislinger sind der Lächerlichkeit preisgegeben. Hat er dazu etwas zu sagen?«

   Schubart schüttelt den Kopf, sagt aber dann:

   »Als Dorfschulmeister musste ich viele Ämter wahrnehmen und erhielt dafür einen Armenlohn. Niemand hat mir`s gedankt.«

   Der Vorleser deutet auf das Protokoll und sagt zu Rieger amüsiert:

   »In Geislingen, von der dort zuständigen Geistlichkeit, wurde ihm auch übel genommen, dass er ständig sagte -

Es ist schon recht; es ist schon recht

Also sprach der Pfaffenknecht.

   Oder dieser Spott -

Du Hauptmann von Kapernaum

Schlag diese Pfaffen lahm und krumm

Und schlägst du ihm die Rippen ein

So sollst du Oberstleutnant sein.«

   Schubart schaut starr vor sich hin, sagt nichts.

   Rieger haut mit der flachen Hand auf den Tisch und schreit Schubart an:

   »Diese Unbotmäßigkeit gegenüber der Geistlichkeit setzte sich, zu unser aller Leidwesen, in Ludwigsburg fort.«

   Schubart zieht die Schultern ein, schweigt weiter.

 

Der Dekan Zilling in Ludwigsburg

   Rieger mit drohender Stimme:

   »In Ludwigsburg hatte er Probleme mit dem Dekan Georg Sebastian Zilling, der auch sein Vorgesetzter war. Was hat er dazu zu sagen?«

   Schubart nimmt seinen ganzen Mut zusammen und antwortet entrüstet:

   »Zilling? Da lob ich mir das Salonleben und Wirtshausleben, all die Sauftouren in Ludwigsburg, mit all den feinen Musikern. Das alles war viel geistreicher als die Predigten des verknöcherten Dekan Zilling zu hören. Ein Dekan wider des Lebens und des Glaubens, der Tote unter dem Deckmäntelchen des Glaubens noch toter macht.«

   Rieger, der meinte, dass Schubart seinen Widerstand allmählich aufgibt, ist überrascht von dessen couragierten Antwort. Zurückhaltend sagt er:

   »Er hat den Ruf, ein würdiger Mann zu sein.«

   Schubart merkt die überraschte Reaktion seines Gegenüber und wird noch mutiger:

   »Würde? Seine Vorstellungen von Würde gehen so weit, dass sein Bruder, der in der Kirche Mesnerdienste leistet, sich vor ihm ehrerbietig verbeugen muss, wenn er ihm den geistlichen Rock reicht. Seine Würde erschöpft sich in ständigen Androhungen der höllischen Verdammnis. Den Leuten Hoffnung machen, das mag und kann er nicht.«

   Rieger sachlich und ruhig:

   »In Ludwigsburg galt er als ein Brauskopf und gewaltiger Trinker. Als ein unbotmäßiger Spaßvogel und Liebesabenteurer. Und als ein Unterhalter, der in den Wirtshäuser zur Unterhaltung der Leute mit dem Rücken zum Klavier die Klaviertasten spielte.«

   Schubart lacht etwas verzerrt.

   »Ja, mit dem Klavier und mit der Orgel kann ich gut. Nur der Zilling hat das nicht begriffen. Er lies mich sogar exkommunizieren und machte mir dadurch das Orgelspielen unmöglich.«

   Rieger barsch:

   »Doch nicht ohne Grund!«

   Schubart winkt selbstsicher ab.

   »Gründe gab es für Zilling viele. Ich war auf dem Posten des Hofmusikers nicht des Zillings Wunschkandidat. Mit meinem Orgelspiel hab ich mehr Leute in die Kirche gebracht, als er mit seinen Predigten. Bei den Kirchengängern war ich überhaupt der Beliebtere. Meine Art zu leben und mit den Leuten umzugehen, sind ihm, dem Verknöcherten, zutiefst zuwider. Und dass ich dabei auch noch erfolgreich war, dass hat er nicht verkraftet.«

   Rieger spöttisch und geheimnisvoll:

   »Darauf könnt ihr später zu sprechen kommen. Warum meint ihr, dass ihr Ludwigsburg und ganz Württemberg habt verlassen müssen?«

   Schubart aufgebracht:

   »Das weiß ich bis heut nicht. Doch ich weiß, dass der Zilling dahinter steckte.«

   Rieger nickt und meint süffisant:

   »Den Zilling habt ihr euch wahrlich zum Feind gemacht. Auch in der Chronik habt ihr ihn später noch verhöhnt.“ Er gibt dem Vorleser ein Handzeichen. Dieser trägt aus dem Protokoll vor: „In der Chronik stand über den Ludwigsburger Dekan Zilling und seiner Frau geschrieben -

An Zill

Zill, der Apokalyptikus

Bewies mit einem tapfern Schluss

Dass einstens mit den Frommen

Auch Tiere in den Himmel kommen

Oh, schrie sein altes Weib

Und freut sich inniglich

Oh welch ein großer Trost für mich und dich.«

   Schubart reumütig:

   »Das ist schon deftig, das geb ich zu.“ Dann kommt ihm ein Gedanke, der ihn erschauern lässt. Mit unsicherer Stimme fragt er Rieger: „Sagt mir, hat der Zilling etwas mit meiner Einkerkerung hier zu tun?«

   Rieger übergeht die Frage und sagt laut:

   »Des Landes verwiesen wurd er, weil er in unzüchtiger Gemeinschaft mit seiner Hausmagd lebte. Obwohl er verheiratet war.«

   Schubart schüttelt den Kopf und sagt leise, seine Gedanken sind bei Zilling, seinem einstigen Widersacher in Ludwigsburg:

   »Das kann nicht der Grund gewesen sein. Bei Hof und anderswo in der feinen Gesellschaft in Ludwigsburg lebte jeder, der etwas auf sich hielt, mindestens in einer unzüchtigen Gemeinschaft. Was heißt unzüchtige Gemeinschaft? Hurerei und Ehebruch waren Modesünden, eine Mätresse zu halten gehörte zum guten Ton. Jeder, der etwas am Hof gelten wollte, folgte dem. Vom Herzog mehr als geduldet. Deshalb traute sich der Zilling auch nicht, dagegen etwas zu unternehmen.«

   Rieger scharf und drohend:

   »Ist das eine Anspielung gegen unseren durchlauchten Herzog?«

   Schubart erschrickt und beeilt sich zu sagen:

   »Nein, nein, natürlich nicht!«

   Rieger nach einer Weile in ruhigem Ton:

   »Wo ging er nach Ludwigsburg hin?«

   Der Vorleser blättert eifrig im Protokoll. Rieger deutet auf Schubart:

   »Er soll`s sagen!«

 

Auf Wanderschaft im Südwesten

   Schubart froh, dass ein anderes Thema angesprochen wird, sagt schnell:

   »In Heilbronn, wo ich eine ausgeprägte Deutschheit vorfand, wurde ich herzlich vom Bürgermeister von Wachs aufgenommen.«

   Rieger sarkastisch:

   »Dort habt ihr auch die Eheleute Pyrker kennen gelernt. Die hätten euch eine Lehre sein müssen:«

   Schubart plötzlich niedergeschlagen:

   »Ich weiß, worauf ihr hinaus wollt. Die Pyrker´s waren auch hier auf dem Hohenasperg, acht Jahre lang.«

   Rieger boshaft:

   »So habt ihr immer gewusst, wie der Herzog mit unbotmäßigen Untertanen verfährt.«

   Schubart weicht aus:

   »Nach dem Verweis aus Württemberg war ich kein Untertan des Herzogs mehr. Ich bin ein ordentlicher Bürger der freien Reichsstadt Ulm.«

   Rieger ungerührt:

   »Ist ihm an der Frau Marianne Pyrker, der einst so berühmten und selbstverliebten Hofsängerin, nichts aufgefallen?«

   Schubart unsicher:

   »Sie hat während ihrer Haft ihre Stimme verloren.«

   Rieger verbessert beinah genüsslich:

   »Ihre Stimme und ihren Verstand! Doch der Verstand kam wieder. Der Allmächtige hatte ein Einsehen. Heute ist sie ein besserer Mensch.«

   Schubart leise:

   »Die Rückerinnerung an den Berg ihres Elends, an den Hohenasperg, lastet wie eine düstere Wolke auf ihrer Seele.«

   Rieger gefühllos:

   »So soll es auch bei ihm sein!«

   Schubart zuckt zusammen. Ängstlich schaut er in seiner Zelle umher. Dann schüttelt er den Kopf und sagt zu sich:

   »Er will dich nur in Schrecken versetzen. Bald ist alles vorbei. Du bist ein bekannter Autor, viele einflussreiche Leute lesen deine Chronik, die sie nicht missen wollen. Das wird dich retten.«

   Mit lautem Schlüsselgerassel wird von außen die schwere Zellentür aufgeschlossen. Der Wärter bringt einen großen, dampfenden Teller mit Fleischstücken und einen zweiten, kleineren Teller mit dicken Brotscheiben herein. Er stellt alles auf den Tisch, salutiert vor Rieger und sagt im militärischen Ton:

   »Ihr Essen, Herr Oberst! Der Wein kommt sogleich.«

   Rieger nickt huldvoll. Der Wärter geht aus der Zelle und kommt mit einer Weinkaraffe und zwei Weingläser, alles hatte er zuvor vor der Zellentür abgestellt, zurück. Unterm Arm hat er ein Tuch, indem das Besteck für Rieger und den Vorleser eingewickelt ist. Der Wärter stellt die Weinkaraffe mitten auf den Tisch, schaut kurz zu Schubart, nimmt sie wieder auf und stellt sie näher zu Rieger hin. Sorgfältig platziert er vor Rieger und dem Vorleser je ein Weinglas, ein Messer und eine Gabel. Dann salutiert er und sagt im militärischen Ton:

   »Wünsche guten Appetit, Herr Oberst!«

   Rieger deutet auf Schubart und fragt den Wärter:

   »Und er?«

   Der Wärter im schneidigen Ton:

   »Die Brotsuppe kommt auch sofort!«

   Rieger nickt huldvoll und deutet mit einer Handbewegung an, dass der Wärter die Brotsuppe bringen soll. Zu Schubart sagt er gönnerhaft:

   »Hat er Hunger?«

   Schubart ausweichend:

   »Seit gestern Abend hab ich nichts mehr gegessen und getrunken.«

   Rieger höhnisch:

   »Dann ist Brotsuppe genau das richtige. Sie ist nahrhaft und flüssig zugleich.«

   Der Vorleser lacht meckernd. Angesichts des dampfenden Fleischtellers reibt er sich vergnügt die Hände. Rieger nimmt sich mit der Gabel ein Stück von dem Rebhuhnfleisch und beißt daran runter. Der Vorleser macht es ihm nach. Der Wärter kommt mit der Schüssel Brotsuppe, die er krachend vor Schubart auf den Tisch stellt. Daneben wirft er ein Löffel hin. Kurz salutiert er nochmals vor Rieger und verlässt dann die Zelle. Wieder fällt die schwere Zellentür krachend ins Schloss.

   Rieger süffisant zu Schubart:

   »Ich wünsche ihm einen guten Appetit.«

   Der Vorleser, höhnisch lachend, wobei er sich fast verschluckt, zu Schubart:

   »Ich ihm auch.«

   Gierig beginnt Schubart zu essen. Rieger und der Vorleser beobachten ihn grinsend.

   Rieger nach einer Weile zum Vorleser:

   »Wir können uns mit unserm Gast doch auch beim Essen weiter unterhalten, was meint ihr?«

   Der Vorleser grinst gehässig.

   »Aber natürlich, unser Gast wird nichts dagegen haben. Er soll uns nur alles sagen, dann brauch ich nicht nachschlagen und kann in Ruhe dieses ach so köstliche Rebhuhn und diesen wunderbaren Wein genießen.«

   Rieger zum Vorleser überheblich:

   »Keine Sorge, er wird uns schon noch alles sagen.«

 

Nach München wegen der Kunst

   Rieger zu Schubart schmatzend:

   »Nach Heilbronn ging er nach Mannheim, dann nach Heidelberg, danach wieder nach Mannheim. Er hatte wohl kein richtiges Ziel?«

   Schubart beeilt sich zu antworten:

   »In Heidelberg war ich nur kurz.«

   Um auf seinen Kerkermeister Eindruck zu erzielen, sagt er mit übertriebener Empörung:

   »Wer beim Anblick des von den Franzosen zerstörten Heidelberger Schlosses nicht einen Fluch nach Frankreich hineinschleudert, der kann unmöglich ein guter Deutscher sein.«

   Rieger nachdenklich:

   »Hm.«

   Schubart weiter eilfertig:

   »In Mannheim hatte ich den Maler Ferdinand Kobell, den Schriftsteller Friedrich Müller sowie den Konzertmeister Christian Cannabich zum Freund. Und auch den Grafen von Schmettau und den Baron von Leyden, der Hilfskräfte für den Kurfürsten Maximillian Joseph den Dritten in München suchte, um den kulturellen Darbietungen am Hof eine neue Richtung geben zu können.«

   Mit der Aufzählung der prominenten Namen hofft Schubart, dass der Kerkermeister ihm endlich den gebührenden Rezept zollt.

   Rieger hebt gelangweilt die Hand.

   »Bleiben wir in Mannheim. Wie war dort das höfische Leben?«

   Schubart sehr vorsichtig:

   »Im Großen und Ganzen wie in Ludwigsburg, doch natürlich ist das höfische Leben in Ludwigsburg interessanter und geistreicher.«

   Rieger wohlwollend:

   »Das wird unser Herzog gern hören.«

   Schubart nickt so, als ob er gerade ein besonders schönes Kompliment erhalten hätte, und isst weiter.

   Rieger plötzlich mit schneidender Stimme:

   »Er durfte dem Kurfürsten am Klavier vorspielen und ein literarisches Gespräch mit ihm führen. Trotzdem hat er den Kurfürsten brüskiert und beleidigt, weil er dessen Pflichten als Mäzen kritisierte.«

   Schubart hält betroffen inne.

   »Ich sagte dem Kurfürsten nur, dass das Publikum einen genügsamen Schriftsteller schon immer satt gemacht hat. Dass Kunst vom Publikum, von den einfachen Ständen, und nicht nur von den Gnaden eines Fürsten abhängt. Was aber keineswegs beleidigend bei ihm angekommen ist.«

   Rieger laut:

   »Somit habt ihr dem Kurfürsten zu verstehen gegeben, dass er als Förderer der geistigen Künste nicht gebraucht werde.«

   Schubart schüttelt heftig den Kopf:

   »Das ist ein Missverständnis.«

   Der Vorleser kauend zu Rieger, auf das Gutachten deutend:

   »Soll ich nachschauen?«

   Rieger hebt abwehrend die Hand und sagt zu Schubart:

   »In München hat euch der Baron von Leyden in die Gesellschaft eingeführt. Auch durftet ihr dem bayrischen Kurfürsten vorspielen.«

   Schubart antwortet wieder rasch und mit gewichtiger Stimme:

   »In München hatte ich den Hofkapellmeister Pompeo Sales zum Freund.«

   Rieger scharf und überlaut, so dass Schubart zusammenzuckt:

   »Auch den bayrischen Kurfürsten und sein Hof habt ihr vor den Kopf gestoßen. Statt sich anzupassen seid ihr wieder, wie es euerm Charakter entspricht, mehr in Bierschenken als bei Hofe verkehrt. Auch habt ihr es gewagt, die Lieder aus den Bierschenken in der hohen Gesellschaft vorzutragen, mit der Begründung, dass das die Volkspoesie sei, die ihr dann auch noch als die einzige deutsche kulturelle Hoffnung bezeichnete.«

   Schubart unsicher und zögernd:

   »Der hohen Gesellschaft hat`s gefallen.«

   Rieger wieder scharf und überlaut:

   »Das ist zu bezweifeln, denn sonst würd dies so hier drin nicht stehen.«

   Rieger deutet auf das Protokoll.

   Der Vorleser zu Rieger zynisch:

   »In München hat er mit dem Gedanken gespielt, seinem Glauben abzusagen und Katholik zu werden, nur damit er am Hof des Kurfürsten eine Anstellung bekommt.«

   Rieger schüttelt sich angewidert.

   »Richtig, dass hätt` ich beinah vergessen.«

   Zum Vorleser sagt er in einem kameradschaftlichen Ton:

   »Wieder ein Zeichen seiner grundsätzlichen Gottlosigkeit. Doch der Zilling hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.«

   Der Vorleser antwortet im gleichen Ton:

   »Ich weiß! Als die in München ein Gutachten über ihn und seine Glaubwürdigkeit in Ludwigsburg angefordert haben, hat der Zilling denen die Augen geöffnet.«

   Rieger lehnt sich in seinem Stuhl zurück und fragt den Vorleser genüsslich:

   »Was hat er gleich in das Gutachten hinein geschrieben?«

   Der Vorleser antwortet ebenfalls genüsslich, indem er auf Schubart deutet:

   »Dass er an keinen heiligen Geist glaubt und vorzüglich deswegen das Württembergische habe räumen müssen.«

   Rieger lacht dröhnend.

   »Ein vernichtendes Urteil!«

   Der Vorleser nickt höhnisch grinsend.

   »Wegen dieses Urteils hat er München verlassen müssen.«

   Rieger zum Vorleser nachdenklich:

   »Danach ist er nach Augsburg gegangen?«

   Der Vorleser antwortet im vertraulichen Ton:

   »Auf der Fahrt von München nach Augsburg hatte er in der Postkutsche einen Streit mit einem franziskanischen Mönch, den er als bigotten Pfaffen bezeichnet hat. Danach hat er die Kutsche verlassen.«

   Rieger zu Schubart amüsiert:

   »Ihr habt die Kutsche verlassen und seid zu Fuß weiter? Bis nach Augsburg?«

   Schubart erkennt allmählich, dass er Rieger nicht beeindrucken kann. Dieser sehr sicher, ohne irgendwelche Konsequenzen fürchtend, ihm gegenüber auftritt, was auf eine Rückendeckung durch den Herzog schließen lässt. Mit leicht zitternder Stimme antwortet er:

   »Auch in Augsburg wurde ich herzlich aufgenommen.«

   Der Vorleser grinst anzüglich:

   »Nicht vom Bürgermeister, sondern vom Pöbel.«

 

In Augsburg sind die Jesuiten mächtig

   Rieger, der die zunehmende Verunsicherung bei Schubart bemerkt, schreit:

   »In Augsburg hat er dann das Zeitungsschreiben angefangen. Von da an war er ein Schmierfink, der stets einen Kübel voller Unrat über verdienstvolle Menschen auskehrte.«

   Schubart antwortet mit monotoner Stimme:

   »Das Zeitungsschreiben in Augsburg entstand aus purer Not und über Nacht. Doch hatte ich bereits Erfahrungen. Als Schulmeister in Geisingen lieferte ich mehrere Beiträge für eine in Lindau und in Chur erscheinende Zeitschrift. In Ludwigsbug wollte ich gar selbst eine politische und gelehrte Zeitung anfangen.«

   Der Vorleser, der kurz im Protokoll geblättert hat, sagt zu Rieger:

   »Die Zeitung schrieb er in der Bierkneipe Zum Walfisch, wo ihn auch die Leute freihielten.«

   Schubart monoton und mutlos:

   »Dort verkehrten die Weber, welche die größte Zunft in Augsburg stellen, die haben mir sehr geholfen.«

   Dann reist er sich zusammen, in der Hoffnung durch die Nennung von prominenten Namen doch noch seine Situation verbessern zu können. Laut sagt er:

   »Ich hatte in Augsburg noch viele andere Freunde. Den Gymnasialrektor Mertens, den Orgelbauer und Klavierbauer Stein, den Mechaniker Brander und vor allem den einflussreichen Paul von Stetten.«

   Der Vorleser flüstert Rieger, der sich auch diesmal unbeeindruckt von den Namen zeigt, für Schubart hörbar zu:

   »Aus den Unterlagen geht hervor, dass er in Augsburg einmal gesagt hat, dass er ein begnadeter Zeitungsschreiber sei, weit über dem schwäbischen Mittelmaß stehend. Und dass ihn die Mutter Natur mit besonders viel Witz beschenkt hat, den er in die Zeitung einfließen lasse. Das ist ein besonders großer Hochmut, zumal die redlichen Leute über seinen Witz in der Zeitung nicht haben lachen können.«

   Schubart sagt nichts. Schweigend, in sich gesunken, sitzt er da. In der Schüssel ist noch Brotsuppe, doch er hat keinen Hunger mehr. Während seine Peiniger immer wieder zum Geflügelteller greifen.

   Rieger, der sich gerade wieder ein Stück geholt hat, schaut nachdenklich und kauend zu Schubart rüber.

   »Aufgrund seines Hochmuts konnte er es nicht lassen, die Katholiken zu beschimpfen. Er, der kurze Zeit zuvor selbst ein Katholik werden wollte.«

   Schubart verkrampft, in Gedanken nach einem Ausweg aus seiner Situation suchend:

   »Ich bin ein überzeugter Lutheraner. Nur über die Missstände bei den Katholiken hab ich in der Chronik berichtet.«

   Der Vorleser ergänzt förmlich, auf das Gutachten deutend:

   »Geschrieben hat er, dass es gute und böse Augsburger gibt. Die Bösen seien die Katholiken.«

   Schubart mit gepresster Stimme:

   »Das päpstliche Verbot des Jesuitenordens wurde in Augsburg nicht befolgt, denn die Jesuiten waren zu mächtig. Kunst, Geschicklichkeit, Gewerbsamkeit, Kunstfleiß, Aufklärung und Schönheit der Sitten zeichnen die Lutheraner in Augsburg so merklich von ihren Mitbürgern, den Katholiken, aus, dass man nirgends mehr als dort die Wohltat der Reformation kennen lernen konnte. Und doch behaupten die Katholiken einen so augenscheinlich starken politischen Vorzug über die Lutheraner, dass man ohne ihre Unterstützung in der Stadt unmöglich fortkommen kann. Das ist ungerecht.«

   Rieger mit einer wegwerfende Handbewegung:

   »Wenn er das so klar gewusst hat, warum hat er gegen die Jesuiten geschrieben? Das war doch dann eine große Dummheit?«

   Der Vorleser zu Rieger laut, kauend, mit einem Finger auf Schubart zeigend:

   »Als er gegen den bekannten Wunderheiler und Teufelsaustreiber Gassner in seiner Chronik schrieb, den die Jesuiten unterstützen, kam er in Hausarrest. Auch wurde er wegen seiner unheilvollen Schreibkunst mit Steinen beworfen.«

   Schubart antwortet leise:

   »Der Gassner pflegt einen üblen Aberglaube.«

   Rieger wirft die Gabel mit dem Fleischstück auf den Tisch, springt auf und schreit Schubart an:

   »Wer ist er denn? Ein Bibelgelehrter? Ein Mann des Glaubens? Das kann er nicht beurteilen! Er ist nur ein einfacher, kleiner, dummer, verirrter Zeitungsschreiber. Ist ihm das klar?«

   Wieder wird mit lautem Schlüsselgerassel die Zellentür von außen geöffnet. Der Wärter kommt mit einem leeren Tablett herein. Er stellt das Tablett auf den Tisch und salutiert vor Rieger.

   »Wenn Herr Oberst gespeist haben, möcht ich das Geschirr abräumen.«

   Rieger schaut kurz zum Vorleser, der nickt und schnappt sich sogleich das letzte Rebhuhnstück. Rieger sagt zum Wärter ärgerlich, wobei er auf Schubart deutet:

   »Abräumen! Wegen dem da ist mir der Appetit vergangen.«

   Als der Wärter die Suppenschüssel auf das Tablett stellen will, stellt er erstaunt fest, dass da noch ein Rest drin ist. Der Wärter zu Schubart zynisch:

   »Der Herr hat heut wohl keinen so richtigen Appetit?«

   Schubart gibt keine Antwort. Stumm starrt er vor sich hin.

   Der Wärter gereizt:

   »Oder hat er so einen kleinen Magen, dass wir ihm künftig die Portionen kleiner machen müssen?«

   Rieger gibt einen zischenden Laut von sich und deutet dem Wärter an, dass er die Suppenschüssel nehmen und die Zelle verlassen soll. Der Wärter stellt die Schüssel auf das Tablett, nimmt es hoch und will etwas zu Rieger sagen, doch dieser winkt ab und deutet nochmals an, dass er die Zelle endlich verlassen soll. Der Wärter macht einen kurzen Diener und geht schnell hinaus. Laut fällt die schwere Tür wieder ins Schloss.

   Rieger setzt sich und sagt zum Vorleser, plötzlich gutgelaunt:

   »Jetzt wär eine Tabakspfeife nicht schlecht. Doch die heben wir uns auf. Für eine Tabakspfeife ist es hier zu ungemütlich.«

   Der Vorleser zieht fröstelnd seine Jacke zusammen:

   »Draußen, außerhalb diesen kalten Mauern, ist es wärmer.«

   Rieger leutselig:

   »Nach einem guten, gemütlichen Essen kann es schon sein, dass man danach etwas friert. Aber das gibt sich. Machen wir mit unserem Gast weiter.«

   Der Vorleser lacht meckernd:

   »Ja, machen wir mit unserm Gast weiter.«

   Rieger zum Vorleser nachdenklich:

   »Wo waren wir stehen geblieben?«

   Der Vorleser blättert im Protokoll und antwortet:

   »Wir haben zuletzt über die Jesuiten, den Gassner und über die Steine, die gegen ihn geworfen wurden, gesprochen.«

   Rieger mit einer theatralischen Geste:

   »Ach ja, ich erinnere mich. Das war alles noch in Augsburg.«

   Der Vorleser nickt.

   »Wir sollten ihn wegen den Steinwürfen befragen, denn da kann etwas in dem Protokoll nicht stimmen.«

   Rieger erstaunt:

   »So? Dafür wurde doch viel Geld bezahlt, da müsste es schon stimmen.«

   Der Vorleser beruhigt:

   »Ist sicherlich nur eine Kleinigkeit.«

   Rieger überheblich zu Schubart:

   »Dann wollen wir uns einmal weiter unterhalten. Seit ihr bereit?«

   Schubart mit leiser Stimme:

   »Die Steine, die durch mein Schlafzimmerfester geworfen wurden, kamen von katholischen Händen. Sogar der Magistrat von Augsburg hat die Steinwürfe verurteilt.«

   Der Vorleser aufgebracht zu Rieger:

   »Das glaub ich ihm nicht. Auf Geheiß des Magistrat wurde er wegen seiner Veröffentlichungen unter Hausarrest gestellt. Und dieser Magistrat soll die Steinwürfe verurteilt haben? Das hätt er wohl gern gehabt.«

   Rieger zu Schubart im harten Ton:

   »Was meint er dazu?«

   Schubart müde, kraftlos:

   »Der Magistrat war gleichrangig mit Lutheraner und Katholiken besetzt. Probleme haben mir die Katholiken im Magistrat bereitet, doch die Lutheraner haben mir geholfen. Ein Beispiel ist die Sache mit dem Hausarrest. Eines Abends, im Winter 1774, saß ich am Klavier, spielend und plaudernd mit Freunden in meiner Wohnung am Eisenberg, als das Haus von Soldaten umstellt wurde. Ein Vertreter des katholischen Bürgermeisters trat ins Zimmer, beschlagnahmte alle meine Manuskripte, versiegelte meine Habschaft und verkündigte, dass der Magistrat über mich ein Hausarrest verfügt hat. Mein alter Diener wurde in Eisen gelegt und fortgeschleppt.«

   Der Vorleser zu Rieger vertraulich:

   »Sie hatten den Falschen in Eisen fortgeschleppt.«

   Schubart fährt fort, so als ob er mit sich selbst sprechen würde:

   »Die Aktion erregte Aufsehen. Volk sammelte sich auf der Straße, Freunde besuchten mich demonstrativ, brachten mir Weinflaschen und Geld. Einflussreiche Kaufleute, vor allem Herr von Stetten, erwirkten schließlich, dass der Hausarrest schon am nächsten Tag aufgehoben wurde.«

   Rieger stichelnd:

   »Da hat er Glück gehabt. Das Thema Gefängnis ist ihm ja nicht fremd. In Erlangen und Ludwigsburg war er schon je einmal gefangen genommen.«

   Schubart deutet kurz auf das Protokoll:

   »Wie sicherlich auch da drin steht. Das hatte nichts mit der Chronik zu tun.«

   Der Vorleser laut:

   »In Erlangen hatte er Schulden, die er nicht bezahlt hat.«

   Schubart leise, fast flüsternd:

   »In Erlangen war ich ein Student, ein junger Mensch, der vom Leben noch nicht viel wusste.«

   Rieger lacht überheblich.

   »Vom Leben scheint er heut auch nicht viel zu wissen.“ Dann ernst: „Seine Zeitung, die Chronik, ist von Augsburg nach Ulm gekommen.«

   Schubart sagt monoton, langsam sprechend:

   »In Augsburg sind zehn Ausgaben der Zeitung erschienen, dann wurde sie ab dem 5. Mai 1774 in Ulm gedruckt. Bei Christian Ulrich Wagner, Kanzlei und Buchdruckerei.“

   Der Vorleser zu Rieger hämisch:

   »Die Augsburger haben zuerst die Zeitung aus der Stadt geschmissen, danach den Zeitungsschreiber.«

   Schubart schüttelt den Kopf.

   »Meine Ausweisung aus Augsburg war nicht rechtmäßig. Als ich den katholischen Bürgermeister Krohn fragte - Und mein Verbrechen, ihr Gnaden? sagte er mir lediglich, wir handeln nicht ohne Ursache, und das mag ihnen genug sein.«

   Rieger kalt und barsch:

   »Mehr wird er zu seiner Inhaftierung hier auf dem Hohenasperg auch nicht erfahren. Warum soll man unvernünftigen, verblendeten Menschen etwas erklären, sie verstehen`s ja doch nicht. Doch eines Tages wird er es verstehen. Dafür werd ich sorgen.«

   Schubart schaut Rieger ängstlich an und stammelt:

   »Wie meint er das?«

   Rieger ohne Gefühl:

   »Wir durchleuchten erst sein unbotmäßiges Leben mit all seinen Schandtaten, dann wenden wir uns den Besserungsmaßnahmen zu. Wie ging`s in Ulm weiter?«

 

In Ulm wurde geurteilt und verurteilt

   Schubart schaut zu Rieger, dann zum Vorleser. Er versucht etwas in deren Gesichter zu erkennen. Rieger erwidert den Blick, heraufordernd und kalt. Der Vorleser grinst Schubart hämisch und schadenfreudig an.

   Rieger herrisch zu Schubart:

   »Er soll antworten!«

   Schubart resignierend:

   »In der protestantischen freien Reichsstadt Ulm, in der es keine Jesuiten gibt, hab ich die Chronik fortgesetzt, wie es sicherlich auch in dem Protokoll steht.«

   Der Vorleser zu Rieger vertraulich:

   »In Ulm entstand die Zeitung immer im Wirtshaus Zum Baumstark.«

   Schubart beschwörend:

   »Die Zeitung hat einen schönen Erfolg. In Deutschland entstehen immer mehr Zeitungen oder vergleichbares. Die    Chronik hat sich bei den Lesern einen Platz erkämpft. Auch bei vielen hochherrschaftlichen Leut. Mit der Chronik bestreit ich meinen Lebensunterhalt. Wieland gibt seit 1773 in Weimar den Deutschen Merkur heraus. Balthasar Haug in Stuttgart seit 1774 das Schwäbische Magazin. Auch sie ...«

   Rieger unterbricht mit schneidiger Stimme:

   »Er hat auf den Haug verwiesen. Kennt er auch dessen journalistisches Programm?«

   Schubart schüttelt den Kopf. Dann sagt er:

   »Sicherlich unterscheidet es sich von dem Programm der Chronik.«

   Rieger scharf:

   »In dem Programm steht wörtlich - Das Schwäbische Magazin ist für Gelehrte, geurteilt wird, außer im Notfall, selten oder gar nicht. Das ist ein sehr weises Programm.«

   Schubart tonlos:

   »Die Chronik ist nicht für Gelehrte, sondern fürs Volk. Für die Handwerker, Bauern, Kleinbürger und Soldaten. Ich bin ein höchst engagierter, begeisterter Zeitungsmacher. Deshalb muss ich auch hier und da etwas urteilen und kommentieren.«

   Bevor Rieger darauf erwidern kann, fährt Schubart lauter fort:

   »Ich hätt`s vielleicht nicht gemacht, doch die Leser verlangen es.«

   Rieger haut mit der Faust krachend auf den Tisch.

   »Jetzt versteckt er sich hinter den Lesern! Er allein hat die Chronik gemacht. Er allein hat sie deshalb zu verantworten.«

   Schubart erschrocken, zaghaft, mit dem Versuch, die Leser der Chronik besonders zu betonen, um für sich daraus einen Vorteil zu erreichen:

   »Die Chronik hat viele bedeutende Leser. Sie sind in London, Paris, Amsterdam und Petersburg. Mindestens fünfzehn Fürsten beziehen sie regelmäßig.«

   Der Vorleser schüttelt ungläubig den Kopf. Zu Rieger sagt er:

   »Warum hat er dann einmal geschrieben, dass bei jedem Gedanken, der dem Zeitungsschreiber entweicht, er einen Seitenblick auf öffentliche Ahndungen werfen muss? Da hat er doch gewusst, dass er öffentliches Unrecht begeht. Also er und nicht die Leser.«

   Rieger nickt dem Vorleser grimmig zu.

   »Öffentliches Unrecht auch durch öffentliche Unwahrheiten. Einmal hat er über eine schwere Erkrankung der Kaiserin Maria Theresa geschrieben, was nicht stimmte.«

   Bevor der Vorleser antworten kann, sagt Schubart, der inzwischen eine tiefe Angst verspürt, unterwürfig und entschuldigend zu Rieger:

   »Manchmal haben sich bedauerlichere Fehler eingeschlichen, die ich dann aber in der nächsten Ausgabe bereinigt hab. Das mit der Erkrankung unser geliebten Kaiserin war ein Fehler des Wiener Korrespondenten. Die Chronik wird auch nur von Menschen gemacht.«

   Rieger stellt sich überrascht.

   »Von Menschen? - So einfach kommt er nicht davon. Von einem Mensch wurde dieses Schmierblatt gemacht, der sich jetzt endlich dafür verantworten muss.«

   Der Vorleser zu Rieger hetzend:

   »Oft hat er sich in der Chronik als Besserwisser, ja sogar als Prophet aufgespielt. Vor allem wenn es um seine Lieblingswörter, Freiheit und Patriotismus, ging.«

   Schubart schüttelt schwach den Kopf:

   »Ein Besserwisser oder gar Prophet wollt ich niemals sein. Ich hab immer gesagt, dass ich stolz bin, ein Deutscher zu sein.«

   Rieger scharf, auf Schubart deutend:

   »Und dabei ist er weit übers Ziel hinausgeschossen.«

   Der Vorleser zu Rieger anklagend:

   »Permanent war er gegen die Franzosen, gegen die überwuchernde Französelei, wie er sagte. Einmal hat er geschrieben - Jede große Erfindung ist deutschen Ursprungs. Die Geschichte kann es beweisen. Und jede kleine Erfindung ist französischen Ursprungs. Auch dies beweist die Geschichte. Das heißt …«

   Schubart sagt zum Vorleser:

   »Ich wollte nur für die Bewahrung der deutschen Sitten und Bräuche eintreten. Die Leser zum Nationalstolz aufrufen.«

   Rieger etwas versöhnlicher:

   »Sein Deutschtum hat der Herzog von Württemberg mit Argwohn betrachtet. Dagegen mit einem gewissen Wohlwollen seine Haltung bezogen auf das Schwäbische. Weiß er, dass sich der Herzog als der natürliche Herrscher der Schwaben sieht?«

 

Vom Aufflackern des Schwabenstolzes

   Schubart, der Hoffnung schöpft, seine Situation doch noch verbessern zu können, antwortet rasch und unterwürfig:

   »Das freut mich sehr. Gleichzeitig hoffe ich, dass der Herzog mir dadurch wohlgesonnen gestimmt wird. Ich empfindet es immer als sehr arg, wenn unser verdienstvolles, schwäbisches Volk mit Schimpfwörtern bedacht wird. Leider begann das schon sehr früh. Schon der Grimmelshausen schrieb in seinem Simplicisimus ungerechterweise, dass wir eine Nation seien, die man für einfältig schätzt. Ich gebe dem Herzog sofort und untertänigst Recht, das Schwaben und das Württemberg eins ist.«

   Der Vorleser zu Rieger angewidert:

   »Jetzt will er sich einschmeicheln.«

   Schubart mit mehr Kraft in der Stimme:

   »Da ich die guten Pläne von unserem gnädigen Herzog Karl Eugen kenn, er will ein Herzog der Schwaben sein, hab ich immer gut über die Schwaben und somit auch über den Herzog und dessen Pläne geschrieben. Ich hab dadurch sein Ansinnen unterstützt.«

   Der Vorleser immer noch angewidert, diesmal direkt zu Schubart:

   »Er will nur seine Haut retten, deshalb redet er so.«

   Schubart rafft seinen ganzen noch vorhanden Mut und Kampfgeist zusammen und sagt zu Rieger eindringlich:

   »Manchmal habe ich in Augsburg gehört, von den Katholiken, dass ihre Reichsstadt die Hauptstadt der Schwaben sei. Dagegen habe ich immer vehement protestiert. Was man mir übel genommen hat und deswegen ich auch die Stadt verlassen musste.«

   Der Vorleser zu Rieger skeptisch:

   »Aus meinen Unterlagen geht klar hervor, dass er Augsburg wegen seinen Schmierereien hat verlassen müssen. Da steht nichts von einem Protest gegen das Ansinnen der Stadt, im Schwäbischen eine Vormachtstellung zu haben. Überhaupt, dieses Ansinnen ist mir fremd.«

   Rieger, der Schubart fest mit den Augen fixiert, sagt über die Schulter zum Vorleser:

   »Das ist richtig. Auch ich hab in dem Protokoll nichts dergleichen gefunden.«

   Schubart verzweifelt zu Rieger:

   »Dann sind die Unterlagen nicht vollständig. Ich hab aufs eifrigste protestiert und immer gesagt, dass Ludwigsburg oder Stuttgart die Hauptstadt im Schwäbischen ist. Keine andere deutsche Landsmannschaft wird in der Literatur so lächerlich gemacht wie die Schwaben. Gegen diesen allgemeinen pöbelhaften Schwabenspott kämpf ich auch mit aller Kraft an. Ganz im Sinn des Herzogs von Württemberg, des wirklichen und berechtigten Herzogs der Schwaben.«

   Rieger, nur mäßig interessiert, fragt:

   »Was genau hat er denn gemacht?«

   Schubart, der sich verzweifelt an den Gedanken klammert, dass sein Eintreten fürs Schwäbische dafür sorgen könnte, so dass er alsbald wieder aus dem Kerker entlassen wird, zu Rieger eindringlich:

   »Wie schon gesagt, ich hab gegen die Franzosen und die Sachsen gewettert, die unsere schöne, schwäbische Kultur zuzudecken drohen. 1774 erschien in Augsburg die Schrift Die Ehre der Schwaben, die ich in der Chronik sofort zustimmend besprochen hab. Auch hab ich immer bei der Geschichte Schwabens den Blick auf die Staufer gelenkt, die nicht nur Herzöge von Schwaben, sondern auch römisch-deutsche Kaiser und Könige waren. Dabei hab ich ebenso auf das staufische Herzogswappen mit den drei Löwen mit viel Begeisterung verwiesen. Unserem gemeinschwäbischen Symbol.«

   Rieger und der Vorleser schauen sich an. Der Kerkermeister schüttelt den Kopf, der Vorleser daraufhin auch.

   Schubart, der das Kopfschütteln von Rieger gesehen hat, sagt verzweifelt:

   »Den Schwaben liegt daran, Stolz und Selbstvertrauen wiederzufinden. Es ist kein Widerspruch, Schwabe und Deutscher zu sein. Zumal die Schwaben die besseren Deutschen sind. Das hab ich in der Chronik des Öfteren dargestellt. Nur mit voller Absicht und nur zur vollen Freude des geliebten Herzogs von Württemberg.«

   Der Vorleser zu Rieger spöttisch, auf eine bestimmte Seite des Protokoll deutend:

   »Unglaublich, wie er redet! In seiner Zeitung hat er geschrieben - Die Ausländer müssen denken, dass wir Schwaben uns nur maschinenmäßig bewegen und dass Essen, Trinken, Dummarbeiten und Schlafen den ganzen Kreis eines Schwaben ausmache, in welchem er so lange unsinnig herumläuft, bis er schwindlig niederstürzt und stirbt.«

   Schubart schreit gequält auf:

   »Das stimmt so nicht! Das ist aus dem Zusammenhang gerissen. Liest man den ganzen Artikel, dann steht es anders da. Dann hat es eine ganz andere Bedeutung.«

   Rieger schreit Schubart an:

   »Jetzt reißt er sich aber zusammen. Hat er das, was gerad vorgelesen wurde geschrieben oder nicht?«

   Schubart gequält:

   »Ja, aber ...«

   Rieger lässt Schubart nicht ausreden, schreit ihn wieder an:

   »Und wenn er das geschrieben hat, dann hat er unser schwäbisches Volk überall lächerlich gemacht. Das ist Verrat an seinem eigenen Volk. Weiß er das?«

   Schubart, dem schlagartig bewusst wird, dass er gegen seine Peiniger in keiner Weise ankommt, sie ihm keinerlei Glauben schenken, er sie nicht milde stimmen kann, sinkt in seinem Stuhl zusammen. Die Schultern nach vorne gebeugt, mit leerem Blick sitzt er da.

 

Der bessere Mensch durch Besserung

   Rieger, der eine Weile gebraucht hat, sich zu beruhigen, sagt zu Schubart mit eisiger, brutaler Stimme:

   »Es wird Zeit, dass er erfährt. warum er hier ist. Warum Herzog Karl Eugen das will und warum er will, dass ich mich um ihn kümmere. Denn mich hat er in seiner Chronik auch angegriffen.«

   Schubart schaut nicht auf. Gequält fragt er:

   »Ihn?«

   Der Vorleser lacht meckernd. Rieger blickt ihn strafend an, sofort hört das Lachen auf.

   Rieger zu Schubart einschneidend:

   »Karl Eugen hält ihn für eine Art deutschen Voltaire, was das auch heißen mag. Auf jeden Fall will der Herzog ihm, und diese Aufgabe soll und werd ich übernehmen, seine falsche und menschenverachtende Freigeisterei austreiben. Ein anderer wird sich um seine