Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.
                                  START         Jo Specht                                                                             

Steinmeier nicht

   Kioskbesitzer: »Gibt es keine Zeitungen mehr, schließe ich. Doch es gibt noch Zeitungen, deshalb habe ich geöffnet.«

   Zeitungsleser: »Darüber bin ich sehr froh. Gibt es keine Zeitungen, ist alles verloren. Zeitungen sind die Lebenszeichen eines Volkes. Wir leben, wir werden weiter leben, ich werde wie immer bei dir meine Zeitung kaufen.«

   Kioskbesitzer: »Du kaufst bei mir schon seit über zehn Jahren deine Zeitung.«

   Zeitungsleser: »Länger, viel länger. Es ist auch sehr schön, dass du weitermachst, deinen Kiosk nicht schließt und flüchtest, du dich nicht im Schutzkeller verkriechst, dein Laden von keiner Bombe oder Rakete getroffen wurde.«

   Kioskbesitzer: »Ich bleibe hier, für die Flucht bin ich zu alt. Ich weiß auch nicht wohin ich fliehen sollte. Die Nächte verbringe ich im Schutzkeller, doch tagsüber muss ich raus. Also betreibe ich meinen Kiosk weiter - und wie gesagt, es gibt ja noch Zeitungen. Und klar, auch ich bin froh, dass mein Laden noch steht.«

   Zeitungsleser: »Zu alt? Du bist nicht zu alt. Statt für die Flucht hast du dich für deinen Kiosk entschieden.«

   Kioskbesitzer: »Vielleicht.«

   Zeitungsleser: »Jedes Mal wenn ich meine Zeitung aufschlage, lese ich, dass alle Länder in Europa und die USA für uns sind, uns mit Geld und Waffen zuschütten. Russland belegen sie mit Sanktionen über Sanktionen. Und was passiert? Der Krieg geht weiter.«

   Kioskbesitzer: »Mit Waffen schütten sie uns nicht zu. Die Waffen, die wir wirklich brauchen, geben sie uns nicht. Ich meine zum Beispiel die Waffen, mit denen wir Flugzeuge abschießen können. Flugzeuge, also Kampfjets, geben sie uns auch nicht.«

   Zeitungsleser: »Richtig, schwere Waffen geben sie uns nicht. Sie sagen, wenn sie das tun würden, wären sie automatisch Kriegspartei. Dann würden sie aktiv in den Krieg eingreifen, gegen Russland, damit wäre der dritte Weltkrieg da, mit dem Einsatz von Atombomben.«

   Kioskbesitzer: »Könnte das Ende der Menschheit sein.«

   Zeitungsleser: »Das Ende der Welt, sagen manche sogar. Doch das glaube ich nicht. Ich glaube, dass letztlich, vor Ausbruch des dritten Weltkriegs, die Vernunft siegt.«

   Kioskbesitzer: »Wessen Vernunft? Die von Putin? Er hat keine!«

   Zeitungsleser: »Putin ist nicht ewig. Die Vernunft eben, von wem auch immer, sie wird siegen.«

   Kioskbesitzer: »Wenn sie uns endlich die Waffen geben würden, die wir brauchen, würde das den Krieg schneller beenden. Den dritten Weltkrieg sehe ich auch nicht, ob jetzt die Vernunft siegt oder nicht. Hätten wir die richtigen Waffen, könnten wir den Russen viel mehr und besser Paroli bieten, was Putin und seine Clique an den Verhandlungstisch zurück zwingt. Mit den richtigen Waffen wären wir keine Schlachtopfer mehr, kein heroisches Volk, das mit Besenstilen gegen Panzer kämpft. Dann wären wir echte, ernstzunehmende Gegner.«

   Zeitungsleser: »Atombomben wird Russland gegen uns nicht einsetzen. Sie würden auch Polen und andere NATO-Staaten schädigen, dann hätte Russland den dritten Weltkrieg ausgelöst.«

   Kioskbesitzer: »Ich habe den Eindruck, den Russen ist es eigentlich egal, ob der Westen uns schwere Waffen liefert oder nicht. Liefert er, erklärt Putin die NATO zum Kriegsgegner. Liefert er nicht, nimmt Putin die Absicht von Finnland und Schweden, der NATO beizutreten, zum Anlass, die NATO zum Kriegsgegner zu erklären. Einerlei wie, er will den Krieg, nicht nur gegen uns, sondern gegen ganz Europa und gegen die USA. Und genau das kapieren die NATO, die EU und die Amis nicht.«

   Zeitungsleser: »Du liegst völlig richtig. Wie kann Putin gestoppt werden? Darüber habe ich mir schon oft den Kopf zerbrochen. Eine Lösung habe ich nicht gefunden.«

   Kioskbesitzer: »Ich habe auch keine Lösung. Eine Revolution des russischen Volks gegen die Machthaber wäre eine Lösung, doch die Russen können das nicht. In Russland waren Revolutionen noch nie erfolgreich. Immer wurden sie sehr blutig niedergeschlagen oder man errang ein neues Joch, das dem Volk als Sieg verkauft wurde. Ich sage nur Lenin, Stalin und Sibirien.«

   Zeitungsleser: »Die einzig gangbare Lösung ist, der Westen gibt uns die Waffen, die wir brauchen, und wir zwingen mit unseren kriegerischen Erfolgen Putin und seine Schergen zurück an den Verhandlungstisch. Er wird sehen, dass er für den Krieg einen zu hohen Preis zahlt. Das russische Volk wird aufbegehren, massenhafte Verhaftungen helfen irgendwann nicht mehr. Um zu Hause den Deckel auf dem Topf zu behalten, wird er verhandeln. Er wird für eine für ihn gesichtswahrende Lösung verhandeln wollen.«

   Kioskbesitzer: »Der hohe Preis des Krieges, mit welchem Einsatz welche Erfolge gezielt wurden, ist für ihn, für die Mütter, die ihre Söhne verloren haben, entscheidend. Der blutige, materialzerstörende, ressourcenvernichtende Preis während eines Krieges verkürzt den Krieg. Das ist richtig!«

   Zeitungsleser: »Weißt du wer die Waffenlieferungen an uns verhindert?«

   Kioskbesitzer: »Ja, Deutschland!«

   Zeitungsleser: »Weißt du auch warum?«

   Kioskbesitzer: »Zum einen wollen sie nicht auf russisches Gas und Öl verzichten, zum anderen fürchten sie in den Krieg hineingezogen zu werden.«

   Zeitungsleser: Du bist gut informiert. Du liest wohl alle Zeitungen selbst, bevor du sie verkaufst?«

   Kioskbesitzer: »Vielleicht.«

   Zeitungsleser: »Alle führenden EU-Staaten sind für die richtigen Waffenlieferungen an uns, nur Deutschland nicht. Was ist mit den Deutschen los? Sie verkennen die Realität! Ich dachte bisher, dass die Deutschen unsere Freunde sind.«

   Kioskbesitzer: »Sie schütten uns mit Geld zu.«

   Zeitungsleser: »Hoffentlich mit Münzgeld, die Münzen können wir werfen.«

   Kioskbesitzer: »Ja, Münzen als Wurfgeschosse, da hat kein Panzer eine Chance.«

   Zeitungsleser: »Ich habe mich sehr gefreut, als ich las, dass unser Präsident den Bundespräsidenten der Deutschen, Steinmeier, in Kiew nicht sehen will. Er ihn ausgeladen hat.«

   Kioskbesitzer: »Es lief anders ab. Steinmeier hat sich selbst zu einem Besuch angekündigt, er wollte sich an einen Besuch der Staatschefs von Polen und den baltischen Ländern in Kiew dranhängen. Unsere Regierung ließ ihm wissen, dass er nicht willkommen ist, die anderen schon.«

   Zeitungsleser: »Richtig! In Deutschland hat das hohe Wellen geschlagen. Von einem gravierenden diplomatischen Affront, von der ukrainischen Undankbarkeit gegenüber dem hilfsbereiten deutschen Volk war die Rede. Und warum? Weil Steinmeier, die beleidigte Leberwurst, dafür gesorgt hat. Niemand wusste, dass er nach Kiew reisen wollte. Sozusagen in Geheimdiplomatie wurde seine Reise vorbereitet. Und genau über diesen nicht offiziellen, geheimen Weg wurde ihm zu verstehen gegeben, dass er unerwünscht ist. Was macht er? Sofort geht er an die Öffentlichkeit und verkündet, dass er, der König der salbungsvollen, nichtssagenden Worte, nach Kiew reisen wollte, doch die böse Führung in der Ukraine rollt für ihn keinen roten Teppich aus. Warum macht er öffentlich was bis dahin hinter den Kulissen ablief? Er hat doch damit begonnen - geheim, geheim.«

   Kioskbesitzer: »Er wollte Deutschland und die Welt mit seinem Auftauchen in Kiew überraschen.«

   Zeitungsleser: »Dabei viele salbungsvolle, mitleidstriefende Worte sagen und tiefbekümmert in die Kameras schauen. Allen zeigen, was für ein mitfühlender Präsident er doch ist.«

   Kioskbesitzer: »Mich hat auch sehr irritiert, dass er plötzlich alles öffentlich gemacht hat. Er, der zuerst den nichtöffentlichen Weg wählte. Statt alles auf sich beruhen zu lassen, sich mit den Gründen seiner Ablehnung zu befassen, diese auszuräumen, läutete er die große Glocke. Wie du schon sagtest, so verhält sich eine beleidigte Leberwurst, kein Präsident.«

   Zeitungsleser: »Dazu kommt, er wusste warum er nicht willkommen war. Obwohl er wusste, dass es nichts mit seiner Funktion, der Bundespräsident der Deutschen zu sein, zu tun hat, sondern mit seiner Person, verband er die Ablehnung mit seiner Präsidentenfunktion. Dadurch sorgte er für eine politische Dimension. Ganz nach dem Motto: Nicht er ist in der Ukraine nicht willkommen, sondern Deutschland. Das ist ziemlich gemein! Alle Deutschen, die es mit uns ehrlich meinen, gottseidank sind das die meisten, sind herzlich willkommen. Ich möchte die Deutschen nicht missen.«

   Kioskbesitzer: »Er hat sich vor einigen Wochen für sein prorussisches Engagement in der Vergangenheit, unter anderem als er Bundesaußenminister der Deutschen war, öffentlich entschuldigt.«

   Zeitungsleser: »Toll, er entschuldigt sich und gut ist? Wenn er es will, sollen wir Ukrainer ihm verzeihen? Nein, so einfach ist das nicht!«

   Kioskbesitzer: »Er hat viele Jahre für Russland und gegen die Ukraine gearbeitet, zusammen mit diesem Gerhard Schröder, diesem Putin-Busenfreund.«

   Zeitungsleser: »Ja Schröder, der besondere Förderer und Freund von Steinmeier. Hat dieser Schröder nicht gesagt, dass Putin ein lupenreiner Demokrat ist? Wie hohl war das denn?«

   Kioskbesitzer: »Steinmeier hat die Gaspipeline durch die Ostsee, von Russland nach Deutschland, das Projekt von Schröder und Putin, sehr stark gefördert. Diese Pipeline sollte die Ukraine wirtschaftlich und politisch brutal schaden. Wir wären mit unserer Gasversorgung noch mehr von Russland abhängig gewesen. Das Szenario damals war: Deutschland und andere Länder werden über die Ostseepipeline versorgt, nicht mehr über unsere Pipeline, die Russen könnten uns ganz nach Belieben mal den Gashahn aufdrehen, mal zudrehen und ganz unabhängig davon, die Preise unverschämt hochschrauben.«

   Zeitungsleser: »Steinmeier und Schröder, eine unheimliche Allianz. Was ist eigentlich mit dem Schröder heute? Er war doch bei seinem Busenfreund Putin, angeblich um ihn zu überreden, den Krieg zu beenden.«

   Kioskbesitzer: »Es hat nichts gebracht, wie du weißt. Der Krieg geht weiter. Und es war peinlich.«

   Zeitungsleser: »Warum peinlich?«

   Kioskbesitzer: »Während Schröder bei Putin war, stand seine Frau betend vor dem Fenster ihres Hotelzimmers, durch das ein Teil des Kremls zu sehen war, und ließ sich fotografieren. Sie, betend für den Frieden, er, der sich bis heute mit keiner Silbe von Putin distanziert hat, im Kreml. Kitschig, peinlich, abgedreht, manche nennen es auch Verarschung.«

   Zeitungsleser: »Schröder hat sich nicht von Putin, Steinmeier nicht von Schröder distanziert. Steinmeier hat Schröder nicht die Freundschaft gekündigt, ihn nicht zu Rede gestellt, ihn nicht aufgefordert, aus der Partei, der beide angehören, auszutreten.«

   Kioskbesitzer: »Ich sage es mal so, wenn er es gemacht hat, war es nicht öffentlich, also geheim. Dann passierte es auf dem Weg der Geheimdiplomatie. Öffentlich jedenfalls ist nichts bekannt.«

   Zeitungsleser: »Jemand müsste Steinmeier mal sagen, wann er was öffentlich und wann er was für sich behalten sollte. Falls er mit Schröder gebrochen hat, wäre das etwas für die Öffentlichkeit gewesen.«