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                                  START         Jo Specht                                                                             

Auf dem Spielplatz

   Blinder: »Ich sehe alles noch genau vor mir. Den Rollschuhplatz auf dem kleine Jungs Fußball spielten. Es deswegen manchmal mit den Mädchen, die lieber Rollschuh laufen wollten, zum Streit kam. Daneben der große Sandkasten. Auf der anderen Seite das Klettergerüst. Dann die Schaukel und die andere Schaukel.«

   Nachbar: »Die Wippschaukel.«

   Blinder: »Ja, die Wippschaukel. Sie kam bei den Kindern nicht so gut an. Oft stand sie einfach so da. Die Kinder spielten drumherum.«

   Nachbar: »Eltern nutzten die Wippschaukel, indem sie ihre Kinder draufsetzten und dann, hoch und runter, hoch und runter.«

   Blinder: »Die Kinder wussten das. Waren die Eltern dabei, wollten sie auf die Wippschaukel. Das nervte manche Eltern.«

   Nachbar: »Manche Kinder nutzten es wirklich aus, wenn ihre Eltern dabei waren.«

   Blinder: »Oder die Großeltern.«

   Nachbar: »Ja, oder die Großeltern.«

   Blinder: »Eltern oder Großeltern, die Erwachsenen eben, sie wollten sich unterhalten, doch da kamen die Kinder und wollten mit ihnen auf die Wippschaukel. So manchem Erwachsenen sah man es an, dass er genervt war.«

   Nachbar: »Kinder können nerven.«

   Blinder: »Wenn ein Erwachsener genervt war, das habe ich nicht an der Stimme, sondern an dem Ausspruch erkannt: Jetzt noch einmal, das ist dann aber das letzte Mal. Danach kam ein langgezogenes, fragendes, mit hoher Stimme ausgesprochenes Jjaa?«

   Nachbar: »Seit wann bist du eigentlich blind?«

   Blinder: »Ich habe es gesehen, weil ich noch nicht blind war, und gehört. Und immer habe ich mich gefragt, was die Kinder denken. Niemals habe ich von einem Kind gehört Ja, das ist das letzte Mal oder Ist gut oder Einverstanden. Die Kinder haben nichts geantwortet und stets darauf gewartet, dass es endlich losgeht.«

   Nachbar: »Haben sie es wenigstens akzeptiert?«

   Blinder: »Die wenigsten. Ich meine eine Zeitlang schon, dann ist es ihnen entfallen und sie wollten wieder, dass jemand von den Erwachsenen sich mit ihnen auf die Wippschaukel setzt.«

   Nachbar: »Ja, hier trafen sich nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern und Großeltern.«

   Blinder: »Die Kinder sollten spielen, die Erwachsenen wollten miteinander reden, entspannt sein, lachen. Ich habe mich mit vielen Müttern, Vätern, Opas und Omas unterhalten. Ich hatte ja Zeit. Und ich war gern hier.«

   Nachbar: »Ich weiß! Du hast oftmals auch auf Kinder aufgepasst.«

   Blinder: »Als ich noch sehen konnte, ja, einige Male. Wenn Mütter noch kurz etwas für das Abendessen einkaufen mussten, dann habe ich auf die Kinder aufgepasst. Später war mir das nicht mehr möglich.«

   Nachbar: »Du hast schöne Erinnerungen.«

   Blinder: »Als ich noch etwas sehen konnte, habe ich mit meinem Spazierstock Emojis in den Sandboden gemalt. Manche Kinder kamen und haben sich meine Zeichnungen angeschaut. Ich habe sie dann immer gefragt, ob ich sie zeichnen darf, in den Sandboden. Das wollten sie, alle. Ein Zeichner bin ich nicht. Nur das Lachen habe ich versucht, also den Mund, richtig zu zeichnen. Augen und Haare waren immer gleich - keine Nase. Der Mund entweder groß und rund, oval oder breit, die Mundwinkel immer hochgezogen. Zwar hat jeder gesagt, das bin ich nicht. Doch sie haben gelacht.«

   Nachbar: »Du hast die Emojis auf dem Boden vor dieser Bank gemalt? «

   Blinder: Mir hat das Lachen der Erwachsenen und das Lachen und sogar das Geschrei der Kinder gefallen.«

   Nachbar: »Das Geschrei auch?«

   Blinder: »Wenn sie sich stritten und dann versöhnten. Wenn die Jungs miteinander kämpften, um herauszufinden wer der Stärkste war. Wenn die jeweiligen Fans bei den Kämpfen lautstark ihren Favoriten unterstützten. Wenn beim Fußballspielen die Jungs schrien und schimpften. Wenn die Mädchen beim Rollschuhfahren kreischten, vor lauter Übermut. Wenn die Mädchen stritten und sich gegenseitig an den Haaren zogen. Es war immer sehr schön - irgendwie vital, für mich ein Jungbrunnen.«

   Nachbar: »Manche Frauen hatten Kaffee dabei. An der steinernen Tischtennisplatte fand so manches Kaffeekränzchen statt.«

   Blinder: »Hier und da habe ich eine Tasse Kaffee bekommen.«

   Nachbar: »Den Kaffee hast du mit den Frauen getrunken?«

   Blinder: »Nein, da hätte ich gestört. Sie haben wir den Kaffee zur Bank gebracht. Zu der Bank auf der ich immer saß und jetzt auch sitze.«

   Nachbar: »Ja, die Bank.«

   Blinder: »Sie ist noch da.«

   Nachbar: Ja! Außer der Bank ist nichts mehr da. Nur sie ist übriggeblieben. Vor uns ist ein großes Loch.«

   Blinder: »Eine Bombe?

   Nachbar: »Ja, eine Fliegerbombe!«

   Blinder: »Wer bombardiert einen Spielplatz?«

   Nachbar: »Es ist Krieg.«